Immobilien im Wandel

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche wirken sich auf Immobilien und ihre Nutzung aus. Doch solche Umbrüche müssen nicht zwangsweise zum Abriss von Gebäuden führen. Warum Transformationsimmobilien ein Megathema der Immobilienbranche sind. Von Christian Hunziker

Ehemalige Kirchen, in denen jetzt Menschen wohnen. Alte Schlachthöfe, die als kulturelle Veranstaltungsorte dienen. Gründerzeitwohnungen, in denen Ärzte ihre Praxis betreiben. Einstige Fabriken, die sich zu angesagten Büro­standorten für Start-ups entwickelt haben: Es gibt unzählige Beispiele, die zeigen, wie wandlungsfähig Immobilien sind und wie sie über die Jahrhunderte manchmal mehrfach ihre Nutzung ändern.


Transformationsimmobilien sind also kein neues Thema. Aber sie sind ein Thema, das vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche an Brisanz gewonnen hat. „Waren unsere Innenstädte bis zuletzt häufig von Einzelhandels- und Büronutzungen dominiert, tagsüber belebt und nachts verlassen, so steht dieses städtebauliche und immobilienwirtschaftliche Leitmotiv in den letzten Jahren zunehmend unter Druck“, sagt Henrike Waldburg, Leiterin Investment Management Global bei ­Union Investment. „Immobilienwirtschaft und Kommunen sind gleichermaßen gefragt, Strukturen und Nutzungskonzepte zu etablieren, die auch künftig flexibel auf Veränderungen des Marktes reagieren können.“


Für Transformationen gibt es erfolgreiche Vorbilder, aber keine Patentrezepte

Beispiele für solche Veränderungen gibt es viele. Menschen kaufen vermehrt online und weniger im stationären Einzelhandel ein, die Wohnbedürfnisse wandeln sich, und Büros entwickeln sich von reinen Arbeitsstätten zu Orten der Vernetzung. Hinzu kommen die gesellschaftlichen Megatrends der Urbanisierung und der ökologischen Nachhaltigkeit. Wie die Immobilienwirtschaft diese Trends aufgreifen kann, haben Union Investment und das Analysehaus bulwiengesa in der Marktstudie „Transformationsimmobilien“ untersucht. Mit dem Begriff Transformation bezeichnen die Studien-Autoren „eine umfassende funktionale und bauliche Umgestaltung, die es ermöglicht, eine Immobilie – als Alternative zu Abriss und Neubau – für eine oder häufig auch mehrere neue Nutzungsarten zu erschließen“.


Was sich konkret hinter dem Begriff einer Transformationsimmobilie verbirgt, zeigt das Beispiel der Neuen Höfe Herne.


In Herne, einer Stadt mit etwa 160.000 Einwohnern im Ruhrgebiet, wandelte das Unternehmen Landmarken ein ehemaliges Hertie-Kaufhaus in eine multifunktio­nal genutzte Immobilie um, die neben Läden und einem Restaurant auch einem Fitnessstudio und Büros Raum gibt. 


Unkompliziert war diese Transformation nicht, wie Thomas Binsfeld erläutert, Mitglied der Geschäftsleitung von Landmarken. Ehemalige Einzelhandelsimmobilien wiesen oft große dunkle Flächen auf, gibt er zu bedenken. „Alle anderen Bausteine, egal ob zum Beispiel Büro, Hotel oder Wohnen, sind meist kleinteiliger strukturiert und brauchen einfach Tageslicht.“ Um die Belichtung zu verbessern, schnitt Landmarken in Herne deshalb zwei Höfe in das Bestandsobjekt.


Die Transformation kann wertvolle Beiträge zur Vitalität und Attraktivität von einzelnen Gebäuden, Quartieren und ganzen Städten leisten.
Henrike Waldburg Leiterin Investment Management Global, Union Investment

Für solche Transformationen gebe es „kein Patentrezept und kein Schema F“, sagt Lars Jähnichen, Geschäftsführer der Beratungs- und Managementgesellschaft IPH Handelsimmobilien. „Man muss sich jeden Standort genau anschauen und das Konzept an den jeweiligen Gegebenheiten ausrichten.“ Beim Gerber zum Beispiel, einem im Jahr 2014 eröffneten Einkaufszentrum in Stuttgart, reagiert IPH auf den Umbruch im Einzelhandel, indem es die oberste Handelsebene in ein Hotel der Marke Ruby und in Coworking Spaces umwandelt. „Baulich“, erläutert Jähnichen, „lässt sich das gut umsetzen, weil die Zimmer zum Innenhof oder zur Außenseite hin platziert werden können.“ Komplizierter werde es, wenn ein Lichthof in das Gebäude geschnitten werden müsse, um beispielsweise die Schaffung von Büros zu ermöglichen. „Ob ein solcher Schritt wirtschaftlich sinnvoll ist“, sagt Jähnichen, „hängt von der Höhe der erzielbaren Miete ab und davon, in welchem Stadium des Lebenszyklus sich das Gebäude befindet.“


In der Kostenbilanz sind nicht allein die Baukosten entscheidend

Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen der Studie von Union Invest­ment und bulwiengesa: Die im Rahmen der Untersuchung befragten Fachleute sind sich einig, dass die Baukosten für eine Transformation zwar vom Einzelfall abhängen, aber häufig so hoch sind wie diejenigen für einen Abriss mit anschließender Neubebauung. Einen Kostenvorteil kann auch Sebastian Nitsch, Vorstand des österreichischen Unternehmens 6B47 Real Estate Investors, nicht erkennen. In Wien hat 6B47 bisher sieben Bürogebäude in Wohnhäuser umgewandelt, darunter die ehemalige Postdirektion im 9. Bezirk, die als Althanpark vermarktet worden ist. Vorteilhaft sind solche Maßnahmen jedoch unter Nachhaltigkeits­aspekten, die derzeit unter dem Einfluss der EU-Taxonomie und der Offenlegungsverordnung stark an Bedeutung gewinnen. „Bei solchen Konversionen bauen wir das bestehende Gebäude bis auf das Stahl­betonskelett zurück“, erläutert Nitsch. „Im Vergleich zu einem Komplettabriss sparen wir dadurch Ressourcen ein, verringern die Zahl der Lkw-Fahrten und reduzieren die CO2-Emissionen.“


Auch andere Fachleute weisen darauf hin, dass die Transformation von Bestandsimmobilien graue Energie einspart, wie sie für den Neubau von Immobilien benötigt wird. „Transformationsimmobilien“, heißt es denn auch in der Untersuchung von bulwiengesa und Union Investment, „können durchaus eine auch langfristig bessere Öko- beziehungsweise Kosten­bilanz als Neubauten aufweisen.“


Den ökologischen Vorteilen stehen nicht unwesentliche Herausforderungen gegenüber. So müssen laut Nitsch die baulichen Voraussetzungen stimmen, insbesondere die Raumhöhe, das Stützenraster und die Gebäudetiefe. Zudem müssen die Anforderungen an den Brandschutz erfüllt sein. Und vor allem muss das Baurecht eine solche Nutzungsänderung zulassen. Das ist auch in Deutschland nicht immer der Fall, weshalb Experte Lars Jähnichen die Politik auffordert, „die richtigen Rahmenbedingungen für Umnutzungen zu schaffen“. 


Eine Umstrukturierung ist für verschiedenste Erstnutzungen denkbar

Die Transformation von Immobilien, ergänzt bulwiengesa-Vorstand Ralf-Peter Koschny, sei ein komplexer Vorgang. Die Chancen für eine erfolgreiche Transformation seien dann am besten, wenn das städtische Umfeld und die Stakeholder intensiv einbezogen würden. Das Wiener Beispiel zeigt, dass sich keineswegs nur Einzelhandelsimmobilien für eine Transformation anbieten. Laut der von bulwiengesa vorgenommenen quantitativen Analyse der deutschen Transformationsimmobilien erfahren Industrie- und Bürogebäude sogar häufiger eine Umstrukturierung als Handelsobjekte. In der polnischen Großstadt Lodz beispielsweise verwandelte der polnische Projektentwickler Virako eine ehemalige Wodkabrennerei in das Monopolis, das Büros, Läden, Restaurants, Galerien und ein Fitnesscenter umfasst. So überzeugend war das Ergebnis, dass das Monopolis mit dem Mipim-Award 2020 in der Kategorie „Best Mixed-Use Development“ ausgezeichnet wurde.


Das Gerber, Monopolis, Neue Höfe Herne: Dass sich in all diesen Fällen die Verantwortlichen für eine Mischung unterschiedlicher Nutzungen entschieden, ist kein Zufall. Rund die Hälfte der Transformationen, so die Studie, wird als Mixed-Use-Konzept umgesetzt. 


Mit gutem Grund, wie Henrike Waldburg von Union Investment sagt: „Die Transformation von Immobilien eröffnet neue Möglichkeiten, sich intelligent ergänzende Nutzungen und Nutzergruppen zu erschließen und wertvolle Beiträge zur Vitalität und Attraktivität von einzelnen Gebäuden, von Quartieren und ganzen Städten zu leisten."


Von Christian Hunziker


Titelbild: Daniel Hawelka

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