
Das Thema Nachhaltigkeit rückt immer stärker in den Blickpunkt. Immobiliengesellschaften tun sich aber in Anbetracht inkohärenter gesetzlicher Regelungen noch schwer damit, eine ESG-Berichterstattung auf den Weg zu bringen. Von Isobel Lee
2021 könnte als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die ESG-Themen Environmental (Umweltschutz), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) in der Immobilienwirtschaft endlich angekommen sind. Obwohl unter anderem der europäische Branchenverband EPRA seit Jahren auf die Bedeutung der Nachhaltigkeitsberichterstattung hinweist, dringt das Thema aufgrund von Pandemie, Umweltfaktoren und neuen EU-Vorschriften erst jetzt in das öffentliche Bewusstsein.
Mangelnde Vorgaben haben dazu geführt, dass die Branche immer wieder durch Orientierungslosigkeit ausgebremst wurde. Dazu Patrick Kern vom Nachhaltigkeitsteam der Union Investment Real Estate GmbH: „Bereits 2015 wurde bei der Weltklimakonferenz in Paris beschlossen, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll. Doch weil konkrete Maßnahmenpläne fehlen beziehungsweise keine finanziellen Konsequenzen drohen, hat die Wirtschaft beim Thema Nachhaltigkeit kaum Fortschritte erzielt.“ Der Immobilienberater Colliers weist darauf hin, dass sich bisher noch keine allgemeingültigen Richtlinien für die ESG-Berichterstattung durchgesetzt haben, sodass Investoren künftige Anforderungen und Verpflichtungen nur sehr schwer abschätzen können. „Aktuell weiß niemand so genau, welche Anforderungen künftig in Bezug auf die Dekarbonisierung der Immobilienportfolios gelten“, meint Luke Dawson, Managing Director Capital Markets EMEA bei Colliers. Er betont, dass allein in Europa die Kosten der Nachrüstung von Bestandsgebäuden auf rund 7 Billionen Euro geschätzt werden.
EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wird für 2023 erwartet
Die 2021 in Kraft getretene EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten hat „die zum Teil untätige Finanzbranche aufgerüttelt“, so das Urteil von Patrick Kern. „Indem sie mehr Transparenz in Nachhaltigkeitsfragen fordert und anhand einer Taxonomie sogar definiert, was auf europäischer Ebene unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist, hat die EU für mehr Klarheit gesorgt.“ Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die 2023 in Kraft treten soll, wird voraussichtlich noch einen Schritt weitergehen und die Nutzer von Immobilien zur Veröffentlichung von Kennzahlen verpflichten. „Es gilt jetzt, die Unternehmensleitungen über die neuen gesetzlichen Pflichten aufzuklären“, so Andy Hay, Managing Director EMEA Property Management bei Colliers. „Künftig werden die Unternehmen ihre ESG-Kompetenzen deutlich ausbauen müssen, sei es durch die Einstellung von Experten oder durch Partnerschaften mit entsprechenden Anbietern.“ Viele Immobiliengesellschaften haben bereits ESG-Beauftragte ernannt, die im Vorschriftendschungel den Überblick behalten sollen. Dass viele Unternehmen der Branche immer noch auf klare Signale der Politik warten, werten andere als schlechte Ausrede.
Wenn wir unsere CO2-Ziele erreichen, reduzieren sich unsere Fremdkapitalkosten.
So erklärt Vasco Santos, Global Sales & Leasing Director bei Ingka Centres: „Der Wirtschaft kommt bei der Umsetzung der ESG-Ziele eine große Verantwortung zu. Sie darf dabei nicht nur auf die Politik verweisen. Wir müssen andere Partner zusammenbringen und eine Vorreiterrolle spielen.“ Ingka hat sich das Ziel gesetzt, bis 2025 seinen Strombedarfs sowie bis 2030 seine Energie für Heizung und Kühlung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen. Das soziale Konzept des Unternehmens sieht vor, mehr Menschen in seinen Zentren Zugang zu Arbeitsplätzen und Weiterbildungsmöglichkeiten zu bieten sowie sich mit dem Umfeld seiner Immobilien zu vernetzen. „Wir meinen, dass Nachhaltigkeit und Wachstum kein Widerspruch sein müssen“, betont er. Andere Unternehmen knüpfen ihre Nachhaltigkeitsziele an geschäftliche Kennzahlen vor dem Hintergrund, dass eine Verbesserung der Umweltbilanz auch die Fremdfinanzierungskosten reduziert. So macht es zum Beispiel das kanadische Unternehmen Ivanhoé Cambridge, das kürzlich angekündigt hat, sein Terminkredit- und Kreditlinienprogramm mit einem Volumen von umgerechnet circa 5,92 Milliarden Euro an das Erreichen seiner ESG-Ziele zu knüpfen. „Wenn wir unsere CO2-Ziele erreichen, reduzieren sich unsere Fremdkapitalkosten“, erklärt Stéphane Villemain, Vice President Corporate Social Responsibility.
Digitale Technologien dienen der Optimierung von Nachhaltigkeitsstrategien
Wenn die Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Immobilienbranche in Fahrt kommen, sind auch Proptech-Lösungen gefragt, die der Optimierung der Nachhaltigkeit dienen. Erst 2021 haben Geldgeber wie die staatliche norwegische Klimainvestmentgesellschaft Nysnø, Credit Suisse, BMW Foundation und Woven Capital dem Unternehmen NREP rund 268 Millionen Euro für Investitionen in entsprechende Technologien bereitgestellt. Ob es um Datenerfassungslösungen, die für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien unverzichtbar sind, oder den Einsatz moderner Baustoffe geht, die Branche findet möglicherweise doch noch den Weg aus der drohenden Krise.
Von Isobel Lee