Upgrade für die urbane Mobilität

Seilbahnen bringen uns in die Berge, zur Bundesgartenschau und in den Freizeitpark. Doch schon bald werden Gondeln auch in Büroquartiere und Wohngebiete schweben und in Shoppingmalls und Ärztezentren haltmachen. Europäische Metropolen entdecken neue Wege durch die Stadt. Von Elke Hildebrandt

Seilbahnen werden vermehrt als Verkehrsmittel für den urbanen Raum ins Spiel gebracht. Auf der Kongressmesse Cable Car World in Essen, die erstmals im vergangenen Jahr stattfand, diskutierten Experten innovative Lösungen für die urbane Mobilität. Vor allem Luftseilbahnen gelten als zukunftsfähig. Dominik Berndt, Projektleiter der Cable Car World, zieht ein erstes Fazit: „Noch sind die Vorteile urbaner Seilbahnen wenig bekannt. Auch die Immobilien­branche hat die Chancen, die in den Wertschöpfungsketten liegen, noch nicht für sich entdeckt.“ Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr will das Thema nun in den Städten und Kommunen voranbringen und hat dazu kürzlich einen Leitfaden mit dem Titel „Urbane Seilbahnen im öffentlichen Nahverkehr“ veröffentlicht. Und auf Bundes- und Landesebene wurden erstmals umfangreiche Fördergelder für urbane Seilbahnen bereitgestellt. Der Blick ins Ausland zeigt: Urbane Luftseilbahnen sind schon vereinzelt anzutreffen. 


Es ist sehr wichtig, urbane Seilbahnprojekte in einem öffentlichen Beteiligungsprozess zu entwickeln.
Reinhard Fitz Head of International Business Development bei Doppelmayr Seilbahnen

Die Vorteile von urbanen Seilbahnen inspirieren Stadtplaner weltweit

Urbane Seilbahnstrecken in Singapur, Portland (Oregon) und Haifa beeindrucken mit Haltestellen im Hochhaus und auf Klinik- und Universitätsgeländen. In Europa lassen sich erste innovative Projekte vor allem in Frankreich entdecken. So sollen in Grenoble bis 2025 drei wichtige Verkehrsknotenpunkte mit einer 3,7 Kilometer langen Einseilumlaufbahn und sechs Stationen vernetzt werden. „Die T1 wird einen neuen Stadtteil anbinden und dafür zahlreiche Straßen, Bahnschienen, zwei Flüsse und viele andere Hindernisse überwinden“, berichtet Gotthard Schöpf, Head of Marketing beim Hersteller Leitner. Bereits fertiggestellt ist eine Seilbahnanlage im Süden Frankreichs. Die Téléo in Toulouse wurde im Mai 2022 eröffnet. Schöpf betont die technische Lösung: „Die Anlage ist Europas längste urbane Dreiseil­umlaufbahn und verbindet mehrere stark frequentierte städtische Hotspots.“ 


Auch in Paris wird ein schwebendes Mobilitätsangebot für 20.000 Einwohner und 6.000 Arbeitsplätze vorbereitet. Die Seilbahn Câble 1, kurz C1, des Herstellers Doppelmayr soll ab 2025 in der Region Île-de-France ein Bindeglied im Verkehrssystem sein, das verschiedene Haltestellen von Metro, Bus und Tram miteinander verbindet. Reinhard Fitz, Head of International Business Development beim Hersteller Doppelmayr, erläutert die Planung: „Ziel ist es, zwei Quartiere in Paris deutlich besser an die Metrolinie anzubinden. Dabei gilt: Je größer der Reisezeitvorteil, desto attraktiver die Verkehrslösung.“


Bürgerinitiativen können Seilbahnprojekte vereiteln oder vorantreiben

Sebastian Beck, Associate Partner bei Drees & Sommer und Mitautor des Leitfadens für Städte und Kommunen, nennt einen entscheidenden Vorteil von urbanen Seilbahnen: „Sie profitieren von der exklusiven Fahrbahn in der +1-Ebene.“ Die schwebende Verbindung sei zudem sicher und emissionsfrei dank nachhaltig erzeugtem Antriebsstrom. Ökologisch attraktiv seien Seilbahnen weiterhin, weil sie ohne aufwendige Bauvorhaben wie Betriebshöfe, Tunnel und Brücken auskämen. Auch Staus und Wartezeiten gebe es nicht. Das Prinzip der Stetigförderer ähnele einem horizontalen Paternoster. „Das sind Vorteile, die man im öffentlichen Verkehr meistens nicht findet“, bestätigt Reinhard Fitz. 


Allerdings stoßen Seilbahnideen in Städten bei ihrer konkreten Umsetzung oftmals auf den Widerstand von Anwohnern und Öffentlichkeit. „Deshalb ist es sehr wichtig“, sagt Reinhard Fitz von Doppelmayr, „urbane Seilbahnprojekte frühzeitig und transparent zu kommunizieren und in einem öffentlichen Beteiligungsprozess zu entwickeln.“ Das Projekt in Amsterdam zeigt, dass eine Bürgerinitiative eine Seilbahnidee auch vorantreiben kann. In der Hauptstadt der Niederlande wird die spektakuläre Ijbaan Cable Car ab 2025 zwei prosperierende Wohngebiete über die trennende Wasserstraße Ij hinweg verbinden. 


Jederzeit einsteigen, bequem ans Ziel schweben und den Ausblick über die Stadt genießen, beschreibt das Fahrgefühl der Nutzer. Die urbane Gondelfahrt ist dabei anders als bei touristischen Angeboten im Verkehrsverbund und Tarifsystem des ÖPNV integriert und für die Fahrgäste vergleichsweise preiswert. Für Städte und Kommunen rechnet sich die Seilbahn ebenso. Unter dem Strich seien Seilbahnen sogar kostengünstiger als Bus, Straßenbahn und Zug, wie die Beratungsgesellschaft PwC in ihrer Studie „Urbane Seilbahnen im ÖPNV“ im vergangenen Jahr errechnet hat. 


Das Potenzial urbaner Seilbahnen zeigt sich vor allem in den Metropolen

Seilbahnen lassen sich bei Bedarf zu eigenständigen Verkehrssystemen vernetzen, wie beispielsweise in Südamerika. Das weltweit größte Seilbahnsystem befindet sich in La Paz, dem Regierungssitz Boliviens. Die Mi Teleférico, von Doppelmayr erbaut und 2014 eröffnet, umfasst in der auf 3.200 bis 4.100 Metern höchstgelegenen Metropole der Welt ein Netz mit zehn Linien und über 30 Kilometern Länge. Auch Mexiko-Stadt setzt auf die Seilbahntechnologie als verlässliches Massenverkehrsmittel. Neue Verbindungen bringen in der dicht bevölkerten Millionenmetropole eine erhebliche Erleichterung. Für Bürgermeisterin Claudia Sheinbaum Pardo ist die Seilbahn zudem ein wichtiger Baustein zur Verbesserung des sozialen Gleichgewichts.


Uwe Zeidler, Geschäftsführer des Versorgungswerks der Zahnärztekammer Nordrhein, bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel. Für ihn sind Seilbahnen eine aussichtsreiche Assetklasse. „Wir favorisieren ESG-konforme Investments. Seilbahnen gehören dazu“, erklärt Zeidler. Das Versorgungswerk investierte über einen Fonds bereits in sechs teilweise touristische Seilbahnen in Europa. Jede Seilbahn müsse sich aus Sicht eines institutionellen Investors rechnen, betont Zeidler. Fixe Pachteinnahmen seien Voraussetzung, um sich mit einem Projekt zu befassen.


Seilbahnen bieten Perspektiven für Immobilienprojektentwicklungen

Das Interesse der Immobilienwirtschaft scheint geweckt zu sein. So gilt das Unternehmen BPD Bouwfonds Immobilienentwicklung, einer der größten Projekt- und Gebietsentwickler in den Niederlanden und in Deutschland, als Befürworter urbaner Seilbahnen und nimmt in seiner Branche eine Pionierrolle ein. 


Für Han Joosten, Leiter Gebietsentwicklung und Marktforschung bei BPD, ist klar: „Angesichts der Klima- und Verkehrsprobleme ist es sinnvoll, auch neue Mobilitätslösungen wie urbane Seilbahnen bei der Entwicklung von Wohn- und gemischt genutzten Gebieten zu prüfen. Diese Mobilitätslösung ist nachhaltig, umweltfreundlich und schnell verfügbar. Sie ist im Vergleich zu anderen ÖPNV-Maßnahmen relativ kostengünstig, nimmt wenig Flächen in Anspruch und kann eine Alternative für die Erschließung unserer Gebiets- und Projektentwicklungen sein.“


Vorstellungen für eine praktische Umsetzung in Deutschland hat BPD bereits in verschiedenen Gebiets- und Projektentwicklungen. Im April dieses Jahres bringt das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Hochschule Darmstadt und dem Architektur- und Designbüro UN Studio eine eigene Studie heraus, die die Rolle von Seilbahnen bei der Stadt-, Gebiets- und Immobilienprojektentwicklung untersucht. Seilbahnhaltestellen könnten künftig als florierende Mobility Hubs und Bestandteil von Mixed-Use-Konzepten eine Rolle spielen. Schwebend ins Büro oder in die Shoppingmall gleiten, das könnte in wenigen Jahren eine urbane Normalität werden.


Von Elke Hildebrandt


Titelbild: UNStudio: Ben van Berkel with Arjan Dingsté

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